[CD] Dredg - El Cielo

Eindrücke, Klangchecks aktueller aber auch älterer Scheiben im Review. Dazu Musik DVDs und Konzertberichte.

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[CD] Dredg - El Cielo

Beitrag von Vince » 09.03.2006, 15:49

Dredg
El Cielo

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Technische Daten
Vertrieb: Interscope Records
Laufzeit: 57:16 Min.
Anzahl der Tracks: 16
Extras: Keine
Booklet: 12 Seiten
Verpackung: Jewel Case

Tracklist
1. Brushstroke: Dcbtfoabaaposba
2. Same Ol' Road
3. Sanzen
4. Brushstroke: New Heart Shadow
5. Triangle
6. Sorry But It's Over
7. Convalescent
8. Brushstroke: Walk In The Park
9. Eighteen People Living In Harmony
10. Scissor Lock
11. Brushstroke: Reprise
12. Of The Room
13. Brushstroke: An Elephant In The Delta Waves
14. It Only Took A Day
15. Whoa Is Me
16. The Canyon Behind Her

Kritik
El Cielo - Der Himmel. Ein Bett ziert das eine Cover, ein strahlender, blauer Wolkenhimmel das andere. Harfen und Engel bilden ein Triptychon.

Brushstroke: Dcbtfoabaaposba sorgt für die ersten Geräusche. Wasser gluckert. Wir befinden uns in einer Kapelle. Wie ein Schall stimmt Gavin Hayes die ersten Höhen an, kommt daher wie ein Priester, der die ganze Welt beschwört, zuzuhören. Wir merken an: Das Konzept des Albums wird hier deutlich gemacht. Dcbtfoabaaposba ist ein Acronym für das Dali-Bild “Dream Caused By The Flight Of A Bee Around A Pornegranate One Second Before Awakening”- Ein Traum, verursacht durch den Flug einer Biene rund um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Erwachen. El Cielo referiert auf die surreale Kunst, sie ist das Konzept der Band, deren Mitglieder teilweise selbst künstlerisch tätig sind.

Nun sind wir beim Album angelangt. Das Booklet offenbart uns zu jedem nicht-instrumentalen Song den Brief eines Schlafgestörten, der über seine Träume und seinen Wachzustand berichtet. Was wir nun hören, sind Fragmente dieser Briefe, poetisch zu einer künstlerischen Einheit gemacht, experimentalisiert, ausgearbeitet.

Same ol’ road stellt den Auftakt. Here we go, down that same ol’ road again, leitet Hayes den ersten Brief ein. Paralyse, hypnotische Beschwörung des Hörers, der sich in einer immer wieder neu ablaufenden Spirale befindet. Ein Gespür für kleinste Partikel bildet sich - das besingt Hayes mit seinen Vocals, das verbildlichen Mark Engles an der Leadgitarre, Dino Campanella an Schlagzeug und Piano (die er gleichzeitig bedient - so berichteten Zeugen der Konzerte) sowie Drew Roulette am Bass.

Sanzen. Schlafparalyse, wiederkehrende Träume. Ein Mann, der merkt, dass er in einen Schlafzustand fällt, wenige Sekunden bevor es passiert. Hold on, so die Aufforderung Hayes’, die er in einem Refrain zum Dahinschmelzen verkündet. Die Gitarren flackern wie ein heller Schein, kurz vor dem Ohnmächtigwerden, das in einem sanften Interlude eingefangen wird.

Brushstroke: New Heart Shadow. Groovendes, traumartiges Zwischenspiel.

Ein Triangle, ein Dreieck ersetzt symbolisch den fünften Titel des Albums. Ein Mann, der einstmals großer Industrial-Fan war, vernimmt einen dröhnenden Schall, der ihn an Rotoren erinnert. Im Herzstück des Songs ertönt ein schallendes Geräusch, ausgehend von einer Triangel, anschwellend, steigend, jenes Geräusch symbolisierend, das der Mann vernahm, bevor er dachte, er müsse sterben. We live like Penguins in the Desert, why can’t we live like tribes?, wiederholt Hayes, eine Botschaft, die uns bereits auf dem Vorgänger “Leitmotif” auf dem Cover begrüßte. Kritik an der Fortentwicklung des Menschen, eine direkte Verbindungslinie zur Schlaflosigkeit.

Sorry, but it’s over. Eine Geschichte über Unterdrückung, das Verhindern des Aufbäumens. Aber: Before you go, there is something more to say. Das spektral anschwellende Gerüst des Songs, das sagt “Füge dich”, wird für einen Moment gebrochen, um innezuhalten, in die Spektralwelt überzugleiten. Dort findet er Ruhe.

Convalescent. Beginnend fast wie “No one knows” von den “Queens of the Stone Age”, dann in einen treibenden Strom übergehend, der dem Abgehackten ein Ende macht. It’s the only way to understand it.

Brushstroke: A Walk in the Park. Das Piano erklingt, kurz darauf fügen sich Streicher dazu. Der Weg durch den nassen Herbstwald ist nur ein Traum. Nichts davon ist Realität. Der Träumer merkt dies, die Streicher werden ausfallend, schräg, verschroben - doch der Traum wird zu Ende geträumt.

Eighteen People Living in Harmony. Über einen Menschen, der sich in die Abhängigkeit begab. Alkohol, Amphetamine. Er ist orientierungslos. Das Songkonstrukt ist schizophren, Dino Campanella wechselt mehrfach den Rhythmus, mit ihm wechselt sich die Stimmungslage. Mal melancholisch, mal hoffnungslos, dann optimistisch und schließlich die Problematik aggressiv angreifend. Dann ist alles gut.

Scissor Lock. Weißes Rauschen, das immer mehr Überhand nimmt. Hayes übernimmt das im Brief beschriebene Phänomen, spielende Kinder wie durch ein Radio zu hören.

Brushstroke: Reprise Same ol’ road wird wieder aufgegriffen: Here we go, on that same ol’ road again - das Phänomen wiederholt sich mit einem dumpfen Ton, der sich in klares Gitarrenspiel verwandelt.

Of the Room. Drei Akkorde, einer höher als der andere. Die Triangel ist wieder mit von der Partie. Cloudy senses stay alive - Gavin Hayes bricht zwei sich abwechselnde weitere E-Gitarren-Akkorde mit dem ganzen Spektrum seines Könnens. Ende des zweiten Drittels dann der erste richtige Metal-Riff, der aggressive Klimax der Platte.

Brushstroke: An Elephant in the Delta Waves. Indisch anmutende Klänge, Chorgesang, der dem “Gladiator”-Theme entsprungen zu sein scheint.

It only took a day. Der rockigste und zugleich depressivste Song des Albums findet drei vor zwölf statt. Der treibendste und vielleicht beste ist es zugleich. Stets schneiden sich zwei direkt nebeneinanderstehende Noten und erschaffen ein Zerrbild von Harmonie. Lie Awake - das Konzept von “El Cielo” auf einen Punkt gebracht.

Whoa is me. Der Verlust der Identität, die Suche nach dem Bewusstsein. Shine with silence. Schräge Trompetentöne mischen sich unter die Melancholie des mitreißenden Refrains, jazzige Töne beenden den Song.

The Canyon behind her - Das Ende. Der Titel des letzten Briefs und die abschließende Frage lautet: Does anybody feel this way? Does anybody feel like I do?
Sometimes...

Die Kritiker überschlugen sich zu Recht vor Begeisterung: “El Cielo” erschafft eine Welt aus Träumen und Alpträumen, Wach- und Schlafzuständen. Das erste Dredg-Album unter Interscope lebt von seinen schier unendlich erscheinenden Landschaften, den immer weiter führenden Verzweigungen, ausgehend von Briefen Schlafgestörter, weiterreichend bis hin in eine globale Auseinandersetzung mit dem menschlichen Wesen und seinem Bewusstsein. Das Konzept ist einmalig, die Umsetzung geht in die Tiefe, wie es leider allzu selten der Fall ist. Gemäß ihres Bandnamens “graben” Hayes & Co. wahrhaftig nach der Bedeutung ihres Werkes in einem schier unendlichen Handlungsbereich. Dem Himmel.
:liquid9:

Extras
Extras sind leider nicht auf der CD enthalten.
:liquid0:

Artdesign
Der Wechsel zu Interscope hatte insofern optische Konsequenzen, als dass es leider kein Digipack mehr gibt, dafür aber trotzdem wieder ein gut durchdachtes Coverartwork. Der fast schäbige Lederlook der Front umfasst in einer Rahmung ein Bett, das von zwei zum Teil engelsartigen Harfen sowie zwei Pflanzen flankiert wird. Die Disc selbst wirkt wie eine glitzernde Fläche, die zum Teil von Sand bedeckt ist - nicht nur deswegen eine konsequente Weiterentwicklung zum Look des ersten Albums. Eine Fläche gibt den Himmel und seine Wolken preis, geziert von Triangeln, denen auf dem Album viel Bedeutung zukommt. Das Booklet ist gepflastert mit handschriftlich verfassten Briefen, mit denen sich jeweils ein Song befasst, der nicht gerade ein “Brushstroke” im Namen trägt. Mal eine etwas andere Art der Darstellung der Lyrics.
:liquid7:

Fazit
Insgesamt deutlich sanfter als der teilweise harte Vorgänger, schaffen Dredg mit “El Cielo” nun endgültig den künstlerischen, aber auch kommerziellen Durchbruch. Seit 2002 stieg der Bekanntheitsgrad der Band enorm, und als 2005 “Catch Without Arms” erschien, warteten bereits Anhänger in aller Welt auf das neue Werk. Diesen Status haben sich Dredg mit diesem Werk mehr als verdient: “El Cielo” ist wahrhaftig ein Dali, transportiert in ein anderes Medium für Kunst, eine surreale Verzweigung von Gedanken und Metaphern, eine Mehrdeutigkeit des zu Interpretierenden, aber auch reine Schönheit, die sich vielleicht nicht von Beginn an, aber doch mit der Zeit jedem offenen Hörer erschließt.

Testequipment
AIWA NSX-SZ315

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Beitrag von freeman » 10.03.2006, 02:58

Sehr feines Review, sehe das Album ähnlich stark wie du und einen Tick besser als Leitmotif, weil es eben ein wenig runder wirkt ... und wie du ja erwähnt hast, war Leitmotif ja härter, dies nun etwas gemäßigter und Catch without arms im Vergleich dazu geradezu poppig leicht. Für mich ist aber genau die Mischung aus den beiden Extremen das beste Album und damit eben dies hier! Das Catch Without Arms Review ist im übrigen auch hervorragend geworden. *Hail to se Master of Desaster äää Music*

In diesem Sinne:
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Beitrag von Vince » 10.03.2006, 16:33

Danke danke, und da sind wir uns voll einig, die Leitmotif wird, sollte ich sie mal reviewen, von mir auch wieder ne 8/10 bekommen, wie die Catch Without Arms... die El Cielo ist einfach am rundesten irgendwie.

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Beitrag von Carcass77 » 10.03.2006, 20:28

Jepp, mal wieder ein sehr gelungenes Review aus dem Hause Vega :wink:

Da ich von der Band überhaupt nix kenne, werde ich mal ein Ohr riskieren. Hört sich jedenfalls sehr interessant an...

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Beitrag von daemonicus » 10.03.2006, 20:38

Schönes Review, bestärkt mich darin mir doch endlich die SACD zuzulegen.

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Beitrag von Vince » 11.03.2006, 14:39

Danke fürs Feedback, Leutz! :D
@Carcass: Ob du damit glücklich werden würdest, weiß ich noch nicht... wäre aber mal interessant herauszufinden.

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Beitrag von Carcass77 » 11.03.2006, 15:46

Hey, ich höre grad mal wieder Neurosis - mich kann so schnell nix schocken (außer es überwiegen elektronische Spielereien) :wink:

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Beitrag von Vince » 11.03.2006, 15:52

Also das ist nicht der Fall... dann leih ihnen mal dein Ohr, sie habens verdient. :wink:

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Beitrag von freeman » 12.03.2006, 13:55

Jo, mach das mal ;-). Wenn du mal was zum Anhören willst, schau mal auf deren Webseite vorbei, die haben da Hörproben und normalerweise auch ganze Videos von sich rumliegen. Da konnteste dir bislang eigentlich immer einen guten ersten Eindruck holen ...

In diesem Sinne:
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Beitrag von Carcass77 » 15.11.2007, 20:01

Es hat ein bißchen gedauert, aber jetzt habe ich "El Cielo" und "Leitmotif" ein paar mal durchgehört. Ich finde beide Alben gleich stark, "El Cielo" ist vielleicht noch einen Tick besser. Wenn ich einen einzelnen Song rauspicken müsste, wäre es "Symbol Song" von der "Leitmotif". Beide Alben :liquid8:

So, "Catch without arms" liegt auch schon seit längeren im amazon-Einkaufswagen, allerdings habe ich derzeit so viel neuen Stoff. Puh... :wink:

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Beitrag von Vince » 15.11.2007, 22:37

Nun geiz mal nicht so, El Cielo ist definitiv mehr wert als 8... ich bin nur einen Haarspalt weit davon entfernt, die 10 zu zücken. ;)

Catch without Arms wird dir, denke ich, nicht so gefallen... zu sanft.

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